Anna Schoenerdt 

alias Anna Erdtmute  Schoen

19.06.1940 – Februa r 2002

 

Eigentlich wußte ich fast nichts über sie. Geboren ist sie in Tschernowitz, von wo aus sie bereits drei Tage nach ihrer Geburt nach Budapest gebracht wurde  und wo sie dem Holocaust durch einige glückliche Fügungen entging. Auf welchen Umwegen sie schließlich zunächst in einem Kinderheim in Niedersachen Zuflucht fand und nach weiteren Stationen endlich in Berlin Fuß faßte, darüber hat sie sich ihr Leben lang ausgeschwiegen. Nach dem Schulbesuch machte sie eine kaufmännische Lehre, war in verschiedenen Unternehmen als Prokuristin tätig und ging 1998 als Sachbearbeiterin einer Versicherungsgesellschaft in den Vorruhestand. Sie hatte im Laufe ihres Lebens etliche Beziehungen, heiratete jedoch nie und blieb kinderlos.

     Nun als Rentnerin lebte sie ganz für ihre große, aber heimliche Leidenschaft, die Zeichnerei. Sie betrieb von ihrer Wohnung in einem Neu-Köllner Hinterhof aus einen bescheidenen Künstlerbedarfshandel und bot gleichzeitig Zeichenkurse in Landschafts- und Aktzeichnung an. Sie arbeitete fast ausschließlich mit Bleistift oder Rötel und verlieh ihren Zeichnungen dann durch den zarten Auftrag von Pastelltönen eine ganz eigentümliche Lebendigkeit.

      Im Laufe der Jahre sammelte sie einen Kreis von Gleichgesinnten, insgesamt zehn Frauen im Altervon 21 – 68 Jahren und – wie sie nie müde wurde zu bedauern -  nur einem Mann im Alter von 38 Jahren, der sich mit der Zeit aber nicht mehr zierte, „sich vor uns Mädchen unterschiedlichsten Alters auch mal nackig zu machen … wir Weiber taten es ja schließlich auch.“ Dennoch, gezeichnet wurde meist nach photographischen Vorlagen, die sie mit Rastern versah, anhand derer dann die Zeichnungen entstanden. 

Sie legte äußersten Wert darauf, daß die gefertigten Werke nicht den Zirkel verließen, das heißt, sie legte Mappen an, in denen sie sammelte. Keiner der Teilnehmer nahm etwas mit nach Hause. Sie hat sich nie an einer Ausstellung beteiligt und wir konnten es nicht, da sie ja alles unter Verschluss hielt.

       Im November 2001 erhielt sie die Diagnose - Bauchspeicheldrüsenkrebs.  Im Januar 2002 verließ ich Berlin für immer und zog endgültig nach Görlitz. Die Verbindung zu Anna riß ab. Erst im Herbst 2002 erfuhr ich, daß sie bereits im Februar d.J.  verstorben war. Sie hatte zuvor jedoch aus ihrer umfangreichen Sammlung etliche Pakete geschnürt, deren eines mir zukam. Einer ihr besonders vertrauten Freundin trug sie auf, diese nach ihrem Tode den betreffenden Empfängern zukommen zu  lassen. Da ich verabsäumt hatte meine konkrete Adresse in Berlin zu hinterlassen, erreichten mich die Zeichnungen und die Nachricht vom Tode, wie schon gesagt erst im Herbst  2002.

    Anna, da ohne Verwandtschaft, wurde auf einem Berliner Urnenfeld anonym bestattet.